Jürgen Grieschat (Globetrotter MOTTOUREN) berichtet von seiner letzten Motorrad-Tour vom 07.08. – 24.08.2013 im russisch-finnischen Grenzgebiet.
Einreise nach Russland einmal anders. Statt der üblichen langen Staus an einem der Straßenübergänge haben wir dieses Mal für den Grenzübertritt die Ankunft mit der Fähre in St. Petersburg gewählt. Zwei Tage sind wir ab Lübeck auf der Ostsee unterwegs gewesen. Und wir werden belohnt. Die Einfahrt in den Hafen ergibt interessante Ausblicke, die wir sonst nicht gehabt hätten: alte militärische Einrichtungen, eine Flotte von Kreuzfahrtschiffen und nicht zuletzt in großen kyrillischen Lettern das Wort Leningrad, die alte Bezeichnung von St. Petersburg aus kommunistischer Zeit.
Das Prozedere der Einreise ist zwar dann doch nicht deutlich kürzer als erwartet, aber dafür entschuldigt sich der Grenzbeamte mehrfach für die Dauer, obwohl er dazu wesentlich beiträgt. Horst kommt sich vor wie in der Grundschule, denn da der Grenzer meint, seine Schrift sei nicht deutlich zu lesen, muss er sein Einreiseformular wiederholt ausfüllen. Und sich Verschreiben geht schon gar nicht. Wir ertragen es mit großer Gelassenheit. Was sollen wir auch sonst machen. Ansonsten sind wir guter Stimmung. Dazu hatten uns schon im Vorfeld das Wetter und die großartige Einfahrt in den Hafen von St. Petersburg milde gestimmt. Endlich, das erste Abenteuer liegt hinter uns. Das zweite erwartet uns noch
Motorradfahren im Stadtverkehr von St. Petersburg und auf russischen Straßen
Die Ausfahrt aus dem Hafen wird zu einer Slalomstrecke um die Schlaglöcher herum – uhh! – da fehlt doch glatt ein Kanaldeckel. Straßenbahnschienen ragen locker 10 cm über den Asphalt hinaus. Kopfsteinpflaster, mal überteert, mal nicht, mal auch nur mit Bitumen zugekleckert, an einigen Stellen noch feucht vom Regen der letzten Nacht. Und dann passiert es. Beim Anfahren rutscht Horst weg, kippt langsam auf die Seite und die Gussfußraste seiner Tiger ist abgebrochen. Glücklicherweise passt bei ihr die Soziusfußrasten auch vorne. Nach wenigen Minuten fahren wir ins Zentrum weiter. Der Verkehr wird deutlich dichter. Und nicht nur auf dem Newski Prospekt pfeifen einige Autos links und rechts an uns vorbei, als seien wir auf einer Rennstrecke und nicht auf der Hauptstraße von St. Petersburg.
St. Petersburg – Begegnung mit einer großartigen Stadt voller Gegensätze.
Endlich sind wir am Hotel und checken ein. Die Motorräder lassen wir während unseres Aufenthaltes sicher auf dem bewachten Parkplatz und erkunden „das Venedigs des Nordens“ doch besser mit öffentlichen Verkehrsmitteln und zu Fuß. Mit einigen Unentwegten mache ich noch einen nächtlichen Spaziergang zu den hochgeklappten Brücken über die Newa, denn um zwei Uhr morgens fahren die Schiffe auf der Newa vom Ladogasee zur Ostsee und umgekehrt. Doch unser Aufenthalt ist nur von kurzer Dauer, unser Ziel ist ein anderes. Auf dem Weg aus der Stadt stoppen wir mit den Motorrädern noch an einigen Highlights von St. Petersburg: Der Schlossplatz vor der Eremitage, dem Winterpalais der Zaren, ist zwar den Fußgängern vorbehalten, aber das hindert uns nicht daran, dort für ein Foto anzuhalten. Die Rastralsäulen an der Newa und die Aurora, das Panzerschiff, dessen Schuss das Zeichen zur russischen Revolution gab.Es gäb noch so viel mehr, aber wir wollen weiter. Entlang der Newa schlängeln wir uns in dichtem Verkehr wir durch die Industrievororte von St. Petersburg.
Weiter gehts in Richtung Osten zur alten Schlüsselburg
Die Festung bewachte den Austritt der Newa aus dem Ladogasee. Vom Ufer aus bietet sich ein schöner Ausblick über die im Moment spiegelglatte Wasserfläche. Weit bis zum Horizont. Das gegenüberliegende Ufer ist nicht zu erkennen, es ist gut 120 Kilometer entfernt! Vor über 70 Jahren war diese Gegend heiß umkämpft. Das Schicksal Leningrads hing an einen seidenen Faden ab, genannt „Straße des Lebens“. Die einzige Möglichkeit, die von der deutschen Wehrmacht belagerte Stadt mit Lebensmitteln, Heizmaterial und Waffen zu versorgen, war der Warentransport über den Ladogasee. Im Sommer auf dem Wasserweg, im Winter mit Lastwagen über das Eis. Verständlich, dass Leningrad gefallen wäre, wenn es den deutschen Angreifern gelungen wäre, diese letzte Verbindung zur Außenwelt zu kappen.
Weltgeschichte und Lokalgeschichte fallen hier zusammen. Unter dem Erdwall des Autobahnzubringers gibt das „Museum der Straße des Lebens“ in einem höchst interessanten Diorama einen Einblick. Etwas weiter die Uferstraße entlang, bei Kilometer 40, steht ein großes Denkmal für die Opfer und Helden der „Straße des Lebens“.
Schlüsselburg selbst ist der Name einer mittelalterlichen Festung auf einer Insel im Ausfluss des Ladogasees – und damit am Beginn der Newa sowie der Stadt am linken Ufer der Newa. Die Festung Schlüsselburg sowie die historische Altstadt wurden 1990 von der UNESCO in die Liste des Weltkultur- und Naturerbes der Menschheit aufgenommen.
Während des Großen Nordischen Krieges konnte Peter der Große im Jahr 1702 die Festung für Russland erobern. Er gab ihr daraufhin den deutschen Namen „Schlüsselburg“. Nach den Visionen des Zaren war die Burg am westlichsten Punkt des Russischen Reichs und sollte Russlands Schlüssel nach Europa und zur Eroberung Finnlands sein. Tatsächlich gelang es der russischen Armee bereits ein Jahr später, das Gebiet des heutigen St. Peterburg von den Schweden einzunehmen und damit Russlands „Fenster nach Europa” aufzustoßen.
Während der Zeit der Zaren wurde die Insel im Volksmund auch „Insel der Toten” genannt. Bis zur Oktoberrevolution von 1917 war Schlüsselburg nämlich die wichtigste Haftanstalt für politische Gefangene in Russland. Nur wenige der hier einsitzenden antimonarchistischen oder sozialistischen Revolutionäre haben die Insel jemals wieder verlassen.
Wir setzen unsere Fahrt entlang des Ladogakanals fort.
Er ist Teil des Wolga-Ostsee- Kanalsystems, das ab 1709 entstand und hier ein Umgehungskanal am Südufer des Ladogasees ist. Denn das im Herbst oft stürmische Wetter auf dem See sowie die tückischen Sand- und Geröllbänke in den Mündungsbereichen der Zuflüsse machten die Schifffahrt auf dem Ladoga zu einem gefährlichen Unterfangen und verursachten häufig Verluste an Schiffen, Waren und auch Menschenleben. Spätestens als um das Jahr 1842 auf dem Ladogasee die ersten Dampfschiffe aufkamen, wurde der alte Kanal zu eng und auch zu seicht. So wurde er immer wieder erweitert. Von 1866 bis 1883 wurde ein neuer, breiterer Kanal angelegt. Der neue Ladogakanal ist bis heute in Betrieb, während der alte Kanal mehr und mehr verfällt. Ganze Abschnitte des Kanalgrabens sind zugeschüttet, vermüllt oder dienen anliegenden Betrieben als Klärbecken.
Wir bleiben immer unweit des Sees, bis wir bei Lodejnoe Pole nach Nordwesten abbiegen, Richtung Olonez. Es beginnt zu regnen. Das muss nun wirklich nicht sein. Die Straße ist zwar recht ordentlich, aber wenn die entgegenkommenden Lastwagen durch die Spurrillen fahren, kommt uns immer ein Schwall Wasser entgegen.
Willkommen in der Republik Karelien
Wir haben gerade das Schild „Willkommen in der Republik Karelien“ passiert, als ich im Rückspiegel sehe, wie Uli mit seiner Harley einen Abflug macht. Ich wende und fahre zurück. So`n Mist. Aber er scheint Glück gehabt zu haben. Auf den ersten Blick ist bei ihm alles in Ordnung. Auf der regennassen Straße hatte er auf einem Stück Bitumen beschleunigt und war dabei ins Schleudern geraten. Welch ein Glück, dass in dem Moment kein Verkehr auf der Straße war. Mit Hilfe eines Autofahrers, der mit seinem Lada angehalten hatte, ziehen wir die Harley den Hang hoch. Das sieht nicht so schlimm aus wie im ersten Moment vermutet. Ich richte alles halbwegs wieder her. Inzwischen hat sich Uli berappelt und wir fahren weiter. Endlich erreichen wir Olonez und unser Hotel, das ich schon von früheren Reisen her kenne. Beim Abendessen klagt Uli über Schmerzen in der Brust und geht früh schlafen. Als die Schmerzen aber auch am nächsten Morgen nicht nachgelassen heben, rufe ich über die Rezeption die Ambulanz. Die Ärztin, die dann kommt, tastet Uli ab und tippt auf eine gebrochen Rippe. Ich solle mit ihm besser zur Untersuchung ins Krankenhaus. Also ordere ich ein Taxi und wir fahren auf die andere Seite der Stadt ins Krankenhaus.
Ein Erlebnis der besonderen Art beginnt.
Nach Untersuchung und Röntgenaufnahmen steht es fest: mindestens eine gebrochen Rippe. Das bedeutet für Uli das Aus seiner Tour mit uns. Ich besorge noch Tabletten aus der Apotheke, organisiere seine Rückfahrt nach St. Petersburg und versuche auch den Rücktransport seiner Harley nach Deutschland auf den Weg zu bringen. Dann verschiede wir uns und lassen einen tieftraurigen Mitreisenden zurück, der noch einige Zeit im Krankenhaus in St. Petersburg verbringen wird, bevor er nach Deutschland zurückfliegen kann. Erst Wochen später kommt nach vielen bürokratischen Hindernissen sein Motorrad wieder bei ihm an.
Um den Ladogasee herum gelangen wir nach Sortavala, Ausgangspunkt für einen Besuch auf der Mönchsinsel Walaam. Die ursprünglich zum Fürstentum Nowgorod gehörige Walaam kam im 17. Jahrhundert zum Königreich Schweden und gehörte ab 1809 zu Finnland. Als Folge des Winterkriegs kam Walaam als Teil Kareliens zur Sowjetunion und ist heute Teil der Russischen Föderation. 1917 wurden Finnland und die Orthodoxe Kirche Finnlands von der russisch-orthodoxen Kirche unabhängig. Im Winterkrieg 1940 wurde das Kloster evakuiert. Die Mönche flüchteten nach Westen und gründeten das bis heute existierende Kloster Uusi Valamo / Neu Walaam. Leider wird es nichts mit unserem geplanten Ausflug zur Insel Walaam. Sturm ist angesagt und das bedeutet auf dem größten See Europas, dass kleinere Schiffe sich nicht hinauswagen. Schade, dann eben ein anderes Mal.
Auf relativ ordentlichen Straßen reisen wir weiter nach Osten.
Weit verstreut liegen die Orte meist direkt an der Chaussee. Hin und wieder Heldenfriedhöfe an der Straße. Sie zeugen von den vielen Toten während des finnisch-russischen Winterkriegs und den Kämpfen mit Truppen der deutschen Wehrmacht. Noch ist es ruhig, doch bald zeigt der schnell zunehmende Verkehr deutlich die Nähe der Hauptstadt Kareliens, Petrosawodsk: Zwei Flughäfen, ein Bahnhof, ein Wasser-Bahnhof und eine Universität. Damit erreichen wir den Onegasee, nach dem Ladogasee der zweitgrößte in Europa. Ab ins Hotel, ein großer Schuppen aus der Stalinzeit, aber recht gut auf den heutigen Stand gebracht. Ein Tagesausflug bringt uns am nächsten Morgen auf die alte Klosterinsel Kishi. Allein die Fahrt mit dem Tragflügelboot ist ein Erlebnis. Doch das wird übertroffen von allem, was wir im Freilicht-Museum von Kizhi zu sehen bekommen. Alle Gebäude, egal ob Kirche oder Windmühle, sind ohne Nägel gebaut worden. Alles aus Holz, dem Rohstoff des Nordens. Seit 1990 sind die Gebäude dieser Insel UNESCO-Weltkulturerbe. Sie bergen einmalige Dokumente der Holzbaukunst. Der hölzerne Komplex des Kirchhofes von Kishi geht auf das 13.-14. Jahrhundert zurück. Großartig ist der Anblick der Christi-Verklärungs-Kirche mit ihren 22 Kuppeln, das wohl beeindruckendste Bauwerk der Alten Rus. Zusammen mit der Pokrowsker Fürsprachekirche bilden sie ein unvergleichliches Ensemble und gilt als Paradebeispiel der nordrussischen Holzbaukunst. Ihre einmalige Zwiebelkonstruktion ist nirgendwo mehr so zu finden.
Die wahren Höhepunkte aber, die Kishi zu bieten hat, sind die einzelnen Ikonen und die beiden großen Ikonenwände in den Kirchen, die in großer Farbenpracht die Geschichten der Bibel erzählen. Nach den langen Jahren Sowjetherrschaft werden hier heute wieder Gottesdienste abgehalten. Fraglich wie lange, denn Holzbauwerke sind anfälliger als Steinbauten und bedürfen ständiger Renovierung. Seit einiger Zeit ist man dabei, mit Hilfe eines aufwändigen norwegischen Verfahrens die Kirche über ein Stahlkorsett anzuliften, um die unteren maroden Balkenlagen zu ersetzen.
Ein Besuch von Kizhi wird immer zu kurz sein…
Am nächsten Morgen fahren wir raus aus Petrosawodsk. Die Straße ist erstaunlich gut, irgendwie hatten wir uns das anders vorgestellt. An den Straßenrändern sitzen Menschen und bieten Beeren an, Birkenzweige für die Banja, irgendwas. Ob es sich für sie lohnt?
Weiter schlängelt sich die Straße im nördlichen Karelien durch eine Landschaft, in der der Wald der Taiga zunehmend lichter wird, die Tundra beginnt. Überall kleine und große Felsen, meist mit Moosen und Flechten bedeckt, kleine und größere Seen und Mücken! Unterwegs stoßen wir immer wieder auf Spuren des sowjetischen GULAG-Systems. In Sandarmoch, ein paar Kilometer östlich von Medweschjegorsk, wurden auf Anweisung Stalins zwischen neun- und zwölftausend Lagerhäftlinge ermordet, „weggeworfen“, verscharrt. Genau weiß man es nicht. Kuhlen an den Stellen der Massengräber, dichter Wald darüber. Viele Kapellen und Kreuze erinnern an diesem Ort an die Opfer – initiiert von ihren Kindern und Enkeln, die Nachforschungen betrieben haben. Kein Hinweis von staatlicher Stelle!
Nur wenige Kilometer weiter erreichen wir einen Abschnitt des berühmt-berüchtigten Weißmeerkanals, eine 227 km lange, aus Flüssen, Seen und künstlichen Abschnitten kombinierte Wasserstraße, die von Powenez am Onegasee bis nach Belomorsk am Weißen Meer führt. Er ist Teil des Weißmeer-Ostsee-Wasserweges, der Sankt Petersburg mit der Barentssee verbindet. Der Kanal wurde von Oktober 1931 bis August 1933 in nur knapp zwei Jahren auf Geheiß Stalins erbaut. Bei seiner Errichtung kam wahrscheinlich eine Viertelmillion Strafgefangener ums Leben. Auch hier kein Hinweis auf die Opfer – nur das Fotografieren ist verboten, wie bei allen „militärischen“ Objekten. Was für ein Quatsch. Eine bekannte russische Zigarettenmarke mit dem langen Pappmundstück trägt den Namen des Kanals.
Schließlich erreichen wir Kem, den Hafenort, von dem aus während der Stalinzeit Strafgefangene auf die Solowetzky-Inseln verschifft wurden. Auch wir fahren dorthin. Aber freiwillig und voller Neugierde auf diesen Archipel von sechs Inseln im Weißen Meer am Eingang der Onegabucht, nur 160 Kilometer vom Polarkreis entfernt. Hier entstand zu Beginn des 15. Jahrhunderts eine Klosteranlage, deren Holzkirchen schon bald durch steinerne Bauten ersetzt wurden.
Unter Zar Iwan den Schrecklichen spielte das Kloster eine strategische Rolle. Das Kloster, die Bastion Gottes, wurde zur Festung. Auch Peter der Große kam nach Solowki, um von hier seinen Krieg gegen die schwedischen Festungen im Onega-See zu führen. Nachdem Zar Peter die Schweden vertrieben hatte, war Russlands Weg zur Ostsee frei.
Von da an diente die Klosterfestung auch als Staatsgefängnis, als ein russisch-orthodoxes Alcatraz. Über zweieinhalb Jahrhunderte wurden hier überwiegend politische Gefangene inhaftiert. Aber berüchtigt wurde es erst unter den Sowjets, denn das Lager Solowki war Russlands erstes großes Häftlingslager, das Modell des sowjetischen Lagersystems. Als Alexander Solschenizyn den Begriff Archipel GuLag prägte, hatte er an eben genau diese Inselgruppe vor Augen. Es muss der Zynismus Sowjets gewesen sein, dass sie gerade hier ein Lager einrichteten. 1920 hatten die Bolschewiki das Kloster geschlossen, es entstand hier ein Arbeitslager, das ab 1923 der Verwaltung der Nördlichen Lager unterstellt wurde. Die besondere Bestimmung dieses Lagers bestand in der physischen Vernichtung politischer Gegner des neuen Systems. Bis 1939 wurde das Kloster und die Inseln als Zwangsarbeitslager genutzt. Viele Jahre gab es kein Haus, keine Kirche und kaum eine Hütte auf den Inseln, in denen nicht Gefangene eingepfercht worden wären. Es gab keine Fluchtmöglichkeit von hier, südlich des Polarkreises, gut 50 km vom Ufer entfernt im Weißen Meer, das selten Temperaturen im zweistelligen Plus-Bereich erreicht.
1986 wurde das Kloster der Kirche zurückgegeben, seit 1991 gehört die Kremlanlage zum Welterbe der UNESCO. Heute leben wieder Mönche nach strengen Klosterregeln auf den Inseln, werden die Gebäude mit großem Aufwand restauriert.
Quer durch Karelien weiter nach Kostomukscha
Quer durch Karelien fahren wir westwärts nach Kostomukscha, der jüngsten Stadt Kareliens. Sie entstand 1977 beim Bau eines Eisenerz-Bergbaukombinats. Interessant wird es immer wieder in den Ortschaften oder wenn wir wieder für einige Zeit von den großen Straßen abfahren. Karelien ist ein Land, das sowohl auf der russischen als auch auf der finnischen Seite mit der Abwanderung der Bevölkerung zu kämpfen hat. Die jungen Leute zieht es in die großen Städte, auf russischer Seite nach Sankt Petersburg und Moskau, auf finnischer Seite nach Tampere und Helsinki. Und wenn man in die russischen Dörfer geht oder in die karelischen Dörfer auf der russischen Seite, dann erfährt man zum Teil auch heute noch bittere Armut. Viele Rentner müssen mit wenigen Euro Rente im Monat auskommen. Die wenigsten Dörfer haben Kanalisation und fließendes Wasser. Die Infrastruktur ist weitgehend zusammen gebrochen. Viele Dörfer, die früher zweimal oder dreimal am Tag mit einem Autobus angefahren wurden, werden heute kaum noch bedient oder unregelmäßig. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich die Situation sogar noch verschlechtert, im Gesundheitswesen, in der Bildung, in fast allen Bereichen.
Immer wieder interessant ist das kleine Abenteuer im Reisealltag: einkaufen.
МАГАЗИН oder auch ПРОДУКТЫ steht über den meist sehr unscheinbaren Läden. Wie sieht ein russischer Laden aus? Was gibt es? Eigentlich gibt es fast alles zu kaufen. Vor allem Wodka in jeder Menge und Qualität.
Unser Hotel ist nicht leicht zu finden. Das Navi kennt es nicht, die Straße auch nicht. Also fragen wir uns durch. Ein Radfahrer ist unser „Opfer“. „Da müsst ihr lang“, antwortet er, „wartet, ich zeig euch den Weg.“ Igor, so heißt er, tritt in die Pedale, als gälte es, die Tour de Karelia zu gewinnen. Als wir am richtigen Abzweig sind, stoppt er, holt seien Kamera heraus und beginnt, Pauls 1200 Super Ténéré aus allen Lagen zu fotografieren. „Ich habe auch so eine, aber deine mit den Alukoffern – und dann noch diese und jene Teile. Klasse, so werde ich meine auch umbauen.“
Die Nacht im Hotel ist unruhig. Das liegt nicht an den paar Bier und den paar Wodkas. Wahrscheinlich waren es zu wenige, denn die Hochzeitsfeier direkt unter uns lässt uns lange nicht einschlafen. Etwas gerädert beenden wir die Nacht, frühstücken und machen uns zeitig auf den Weg. Dann die russische Grenze. Nein, das ist erst die Vorkontrolle. Die Visa sind in Ordnung. Wir dürfen weiter. Noch ein ganzes Stück bis zum eigentlichen Grenzübergang. Langsam und gründlich geht es voran. Hier sind nur Frauen am Werk und sie machen ihre Arbeit gründlich. Auch der Hund, der die Koffer abschnüffelt, ist weiblich. Wir flachsen miteinander und es geht recht entspannt zu. Endlich haben wir es geschafft. Wir wechseln auf die finnische Seite und erreichen Kuhmo.
Unser Hotel Kalevala ist klasse und wie Programm. Denn diese Gegend ist die Heimat des Kalevala, ein Werk, in dem die Vorstellungen und Mythen der Menschen dieser Gegend zusammengetragen wurden. Es ist das finnische Großepos, ähnlich wie die Werke Homers oder das Gilgamesch-Epos. Elias Lönnrot hatte im 19. Jahrhundert die mündlich überlieferte Volksdichtung aufgezeichnet, auf deren Grundlage er eben das finnische Nationalepos schuf. Im örtlichen Museum gibt es eine Ausstellung dazu. Und einen eindrucksvolle Bibliothek mit Übersetzungen in die verschiedensten Sprachen, u.a. ins Plattdeutsche.
Wir folgen der Via Karelia nun entlang der finnisch-russischen Grenze nach Süden.
Hügelig ist sie, erstaunlich kurvenreich. Karelien ist für die Finnen ein schmerzhaftes Kapitel ihrer Geschichte. Im Zuge des Zweiten Weltkriegs verloren sie um die Stadt Viborg eine Fläche von der Größe des Bundeslandes Brandenburg. Mehr als 400.000 Menschen siedelten nach Finnland um. Sie und ihre Nachkommen halten bis heute das karelische Erbe hoch.
In der ostfinnischen Landschaft Südsavo befindet sich das Kloster Uusi Valamo, „Neu-Walaam“, das einzige orthodoxe Mönchskloster in Finnland. Es kam 1940 infolge des verlorenen Winterkrieges an die Sowjetunion. Daraufhin siedelten die überwiegend russischen Mönche an diesen Ort im bei Finnland verbliebenen Teil Kareliens über, ein ungewöhnlicher Platz in Finnland.
Durch die Wald- und Seenlandschaft Mittelfinnlands gelangen wir nach Savonlinna. Die bekannteste Sehenswürdigkeit der Stadt ist die Burg Olavinlinna. Sie ist heute die besterhaltene mittelalterliche Festung Nordeuropas. Europaweit bekannt ist das jährlich im Juli stattfindende Opernfestival, dem die Burg eine großartige Kulisse gibt.
Bevor wir die finnische Hauptstadt Helsinki erreichen, machen wir in Lathi Station im neuen Hauptquartier bei RUKKA und besuchen den bekanntesten Motorradbekleidungshersteller des Nordens. Mari kenne ich schon seit vielen Jahren. Sie freut sich sehr, mich zu sehen und lädt uns zum Mittagessen ein. Auch ihre Chef Hannu kommt, um uns zu begrüßen. Ein kurzer Blick auf die neue Kollektion. Viel Zeit bleibt uns aber nicht, denn wir müssen weiter in die finnische Hauptstadt. Eine kurze Rundfahrt, ein Stopp am Domplatz und am Markt am Hafen, denn fahren wir weiter zum neuen Hansahafen. Am späten Nachmittag startet dann die Fähre zurück nach Travemünde. Durch die Schären geht es hinaus, der untergehenden Sonne entgegen. Bis zu unserer Ankunft am nächsten Abend haben wir noch viel Zeit, die zahllosen Eindrücke unserer Reise Revue passieren zu lassen.
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